Auf ein Wort / Lesepredigten
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Predigt zur Jubelkonfirmation 2024
Liebe Gemeinde,
liebe Jubilare.
Was würden Sie in Ihrem Leben noch einmal machen oder was überhaupt. Etwas, wovon Sie immer geträumt haben oder etwas, das so abwegig erschien, dass Sie es nie wagten - eine Frage, zu der Sie sich heute gern an der Kaffeetafel austauschen können. Diese Frage stelle ich gern Menschen, die ich vielleicht aus Anlass eines Geburtstages besuche. Einer sagte mir: gern würde ich mit dem Fallschirm nochmal springen. Meine Modelleisenbahn würde ich gern noch aufbauen, sie seit Jugendtagen verpackt ist. Noch einmal nach Irland würde ich gern reisen.
Ich freue mich immer, wenn da noch etwas an Lust auf etwas ist,
noch mehr bewundere ich Menschen, die jenseits der zweiten Lebenshälfte nicht nur noch auf etwas Lust haben, sondern die in ihrem Leben gar noch etwas verändern wollen.
Ich selbst merke auch schon, wie mitunter die Energien geringer werden, schlimmer aber, wie gar bestimmte Verhaltensweisen eingeschliffen sind. Das macht mir mitunter ein wenig Angst, denn im Älterwerden wird man wahrscheinlich nicht lockerer sondern manches könnte sich noch verhärten. So wie bei Hartmut.
… nach drei Jahrzehnten Ehe hat Christa Mackowiak die Faxen dicke und verlässt ihren Taxifahrer-Gatten Hartmut, um ihr Glück mit einem neuen Mann zu suchen. Nun zieht sich Hartmut, der eigenbrötlerische Nürnberger Taxifahrer erst recht in sein Schneckenhaus aus Misstrauen und einer gehörigen Portion Fremdenfeindlichkeit zurück. So kommt es auch gleich zum Streit, als eine junge Türkin mit ihrer Tochter zu ihm ins Taxi steigt.
Hartmut ist, wie sich im Laufe der Geschichte herausstellt, ein richtiger Stinkstifel – wunderbar gespielt von dem leider verstorbenen Elmar Wepper in dem Film „Dreivirtelmond“. Ein Film, der mir dieser Tage beim Auspacken von Umzugskartons wieder in die Hände gefallen ist.
Wie wird man zu solch einem Stinkstiefel, den er da verkörpert? Wenn man nicht mehr wahrnimmt, das andere Menschen andere Bedürfnisse haben als man selbst. Wenn man die eigenen Bedürfnisse nicht anderen sagt, stattdessen erwartet, andere müssten diese einem doch aus dem Gesicht ablesen und wenn sie es nicht tun, ist man eben sauer. Wenn man einen Mangel in seinem eigenen Leben hat, im Grunde auch darum weiß und dann an anderen sieht, dass sie offensichtlich glücklicher sind als man selbst, sich gar Freiheiten heraus nehmen, die man sich nie selbst traute zu leben. Wenn andere etwas ganz anders machen und sich ausprobieren, was man selbst nie konnte.
… es gibt viele kleine Dinge, die in der Summe dazu führen, dass man in seinen Haltungen festgeschraubt, unbeweglich zum Griesgram wird, jede äußere Veränderung skeptisch mit Misstrauen betrachtet.
Wenn dann, wie im Fall von Hartmut, dem Taxifahrer, dessen Frau sagt, jetzt reicht es, es hat keinen Sinn mehr und man auch sieht, wie sie selbst darunter leidet, dass ihre Ehe, diese Beziehung tot ist, nicht mehr zu beleben ist, wenn man eine solche Geschichte von Menschen aus unserer Zeit, womöglich aus der Nachbarschaft oder eigenen Familie vor Augen hat, dann kann man ahnen, was uns das Evangelium von der Auferstehung des Lazarus sagen will.
Da sind Maria und Martha. Schon lang haben sie sich um Lazarus bemüht. Haben Jesus die Nachricht geschickt: Dein Freund ist krank.
Nun können sie nur noch weinen, denn es ist alles zu spät, es ist nichts mehr zu machen. Wäre er etwas früher gekommen, wäre es jetzt vielleicht anders. Herr, wenn du hier gewesen wärst, hätte mein Bruder nicht sterben müssen, so spricht Marta zu Jesus, als dieser endlich da ist.
Und wir können die Trauer den Schmerz eines „zu spät“ gut nachempfinden und auch die Tränen Jesu, die er weint um Lazarus und um all jene, die nichts mehr erhoffen, nichts mehr erwarten, nichts mehr glauben können.
Jesus spricht noch mit Marta und auf seine Frage, glaubst du daran, dass ich die Auferstehung und das Leben bin, antwortet Marta im Grunde nur wie mit einem Lehrsatz:
Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.
Aber für Jesus ist die Geschichte mit Lazarus und Marta und Maria damit nicht zu Ende. Nicht, da ist nichts mehr zu machen, im Gegenteil, allezeit ist er der Hoffende, der Liebende. Nicht zuerst im Blick auf den letzten Tag, sondern im Blick auf das Heute und jetzt.
Er war zornig wird erzählt und ich kann Jesus gut verstehen.
Da haben sie so viel miteinander erlebt und scheinbar glauben sie, das alles beträfe nur eine Auferstehung, ein Leben nach dem Tod. Nicht viel haben sie verstanden davon, dass Jesus die Lebendigen zuerst meint. Immer ist zu hoffen, solange wir atmen.
In diesem Gottesbewußtsein, das es keinen hoffnungslosen Fall gibt, lässt er den Stein wegrollen.
Die anderen leisten Widerstand: Es hat keinen Sinn, er stinkt. Ja er stinkt, dennoch ruft Jesus. »Lazarus, komm heraus!«
Der Tote kam heraus; seine Hände und Füße waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Tuch verhüllt.
Jesus sagte: »Nehmt ihm das alles ab und lasst ihn nach Hause gehen!
Ist das zu glauben, liebe Gemeinde?
Ist das nur eine Novelle aus der Zeit Jesu, eine Wundergeschichte mit geringem Bezug zu uns?
Und wie nahe geht uns dies Evangelium gerade heute an diesem Sonntag, wo wir in Anbetracht eines Konfirmationsjubiläums das Leben preisen wollen?
Im Fall von Hartmut in besagtem Film ist es Hajat, das kleine türkische Mädchen, dessen Großmutter im Krankenhaus im Koma liegt und dessen Mutter als Stewardes in der Ferne weilt. Hajat kennt keinen Menschen sonst weiter in dieser fremden Stadt als diesen Taxifahrer. Und plötzlich taucht er auf mit seinem Taxi. Hajat in ihrer Hilflosigkeit setzt sich hinein. Und nun folgt eine wunderbare Geschichte, in der sich Hartmut gegen seinen eigenen inneren Widerstand schließlich nun um dieses Mädchen kümmert. Man sieht, wie er ihr ein Bett bereitet, wie er versucht sie zu verstehen, wie sein Herz erweicht …
Man sieht ihn, wie er heraus kommt aus seiner Grabeshöhle, wie einst Lazarus.
Man sieht am Ende wie sich Hartmut auf den Weg macht, in Istanbul landet, neugierig auf diese fremde Welt, die ihm Hajat eröffnet hat. Man sieht wie er im Café sitzt und sich aus einer Flasche Wasser eingießt – auf der Flasche steht Hajat – den türkischen Kellner befragt, was das auf deutsch heißt, bekommt er zur Antwort:
Leben, Hajat heißt Leben!
Zum Leben sind wir alle gerufen. Und solange wir da sind gibt es immer noch etwas zu erhoffen, etwas zu erträumen, etwas gerade zu rücken, zumindest der Versuch ist immer noch möglich.
Daran erinnert uns die Lazaruserzählung.
In der neuen Lutherübersetzung, ist in diesem Lazarustext zu lesen: Martha spricht: du bist der Christus, der in die Welt kommt. In der letzten Üss. heißt es: der in die Welt gekommen ist. Also Gegenwart und Zukunft statt Vergangenheit!
Damit ist unterstrichen: Jesu Kommen ist nichts was sich allein damals vor 2000 Jahren ereignet hat, sondern etwas, das sich stetig ereignet. Heute will Gott durch Jesus unser Herz erreichen. Heute ist noch etwas zu erwarten auch wenn es aussichtslos scheint. Es ist allezeit etwas zu erwarten für Ihr, für mein persönliches Leben, für die Menschen mit denen ich zusammen lebe, mit denen ich es manchmal auch schwer habe. Es ist etwas zu erwarten für all jene, die den Frieden suchen, die hierher flüchten. Es ist etwas zu erwarten für unser Land, für Europa, für unsere ganze Welt.
Auf das wir den Ruf Jesu allezeit hören, wie er an Lazarus, an Hartmut Mackowiak, an uns alle gerichtet ist:
Komm heraus und lebe!! Setzte dich für das Leben ein!
Ein Grund mehr, die Taufe zum 50. 60. 70 mal zu bestätigen.
Ja ich bin getauft und an der Hoffnung halte ich fest.
Amen.