Auf ein Wort / Lesepredigten
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Predigt zu 2. Mose 34, 29-35
Ich betrat das erste Mal in meinem Leben eine Synagoge in Prag. Ich war gerade 18 geworden und fuhr in diese Stadt. Ein Freund riet mir, unbedingt das jüdische Viertel zu besuchen. Dann stand ich im Eingang zur Synagoge und man bedeutete mir, meinen Kopf zu bedecken. Ich setzte meine Mütze auf. Fortan wusste ich, dass ich eine Kopfbedeckung mitzunehmen habe, wenn ich eine Synagoge besuche. Umgekehrt weiß ich, dass beim Betreten einer Kirche die Mütze, Hut oder was auch immer den Kopf bedeckt, abzunehmen ist. Und wenn ich gar in eine Mosche hinein gehe, sind die Schuhe auszuziehen.
All das geschieht, um auszudrücken, dass ich die Bedeutung, ja gar die Heiligkeit dieses Ortes achte.
Unvergesslich ist mir auch jene Begebenheit, als ich mit deutschen und rumänischen Jugendlichen in Rumänien ein Kloster besuchte. Die rumänischen Jugendlichen unterschieden sich nicht wirklich von den deutschen, nur im Überschreiten der Schwelle zur Klosterkirche, da bekreuzigten sie sich, waren augenblicklich still, andächtig, küssten ein Marienbild und erst als sie wieder draußen waren, waren sie wieder wie vorher. Das war für uns beeindruckend und wir spürten, dass es auch für diese Jugendlichen Orte gibt, die ihnen heilig sind oder die sie als solche respektieren.
Auf genau diesen Unterschied zwischen dem profanen, also weltlichen Bereich und dem heiligen zielt jene merkwürdige Episode ab, die heute zu verlesen ist:
29 Als nun Mose vom Berge Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln des Gesetzes in seiner Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte. 30 Als aber Aaron und alle Israeliten sahen, dass die Haut seines Angesichts glänzte, fürchteten sie sich, ihm zu nahen. 31 Da rief sie Mose, und sie wandten sich wieder zu ihm, Aaron und alle Obersten der Gemeinde, und er redete mit ihnen. 32 Danach nahten sich ihm auch alle Israeliten. Und er gebot ihnen alles, was der HERR mit ihm geredet hatte auf dem Berge Sinai. 33 Und als er dies alles mit ihnen geredet hatte, legte er eine Decke auf sein Angesicht. 34 Und wenn er hineinging vor den HERRN, mit ihm zu reden, tat er die Decke ab, bis er wieder herausging. Und wenn er herauskam und zu den Israeliten redete, was ihm geboten war, 35 sahen die Israeliten, wie die Haut seines Angesichts glänzte. Dann tat er die Decke auf sein Angesicht, bis er wieder hineinging, mit ihm zu reden.
In einem Kommentar las ich, dass es geradezu archäologischer Bemühungen bedarf, um den Grund der Erzählung frei zu legen, also zu sehen, was es denn mit diesem Ab- und Aufdecken auf sich hat.
Mose selbst, sah nicht sein eigenes Gesicht, aber alle anderen sahen, wie er strahlte. Und er rief sie zu sich und er sagte ihnen all das, was er von Gott gesagt bekam.
Ihnen das weiter zu sagen, so selbst unmittelbarer Bote, Botschafter Gottes zu sein, das war sein Amt in diesem Augenblick. Und er trat vor die Israeliten und sie sahen etwas vom Abglanz Gottes in seinem Gesicht.
Nach seiner Rede, nach diesem Auftritt legte er eine Decke über sich. Nicht länger sollten sie auf ihn schauen, erst recht nicht ihn bewundern, sondern einzig die Worte des Ewigen im Herzen behalten.
Und als er abermals hinein ging oder auch sooft er mit Gott redete, nahm er die Decke ab, hörte und gab das Gehörte den Israeliten weiter. Und immer da sahen sie einen Abglanz Gottes in seinem Gesicht. Und ich verstehe es so, dass es nie um ihn als Person ging, sondern immer um die Botschaft.
Mit dieser Erklärung ist auch verständlich, warum ein Priester ein Priestergewand anhat, ein Pfarrer einen Talar. In letzterem Fall ist es längst nicht einfach die Amts-Robe des Gelehrten, wie Luther sie noch verstand und bewusst nicht eine Sonderrolle als Priester einnahm. Inzwischen ist der Talar aber Amts-Robe des Pfarrers. Immer wenn sie ein Pfarrer/ eine Pfarrerin trägt, übt sie oder er das Amt aus und danach wird der Talar abgelegt und ich bleibe zwar Pfarrer, aber habe dann nicht das Amt des Predigers oder Liturgen.
Dieser kleine aber wichtige Unterschied ist wesentlich.
Denn wesentlich für unsere Welt und unser Leben ist, dass es neben dem Profanen auch Heiliges, neben profanen auch heilige Räume gibt. Sonst wäre alles gleichgültig.
Heute nun ist mit Blick auf den in der vergangenen Woche begangenen Holocaustgedenktag noch ein anderer Aspekt unübersehbar: In all der Erfahrungsgeschichte von Orten und Riten, die Menschen heilig sind und so eine Kultur ausmachen, gibt es tragischer weise auch Kräfte und Gewalten, die heiliges entheiligen, entwürdigen und so anderen die Würde und am Ende gar das Menschsein absprechen.
Fataler Weise ist der Nährboden dafür in der abgebrochenen Diskussion von Juden und Christen bereits im 1. Christlichen Jahrhundert gelegt.
Er findet sich u.a. in den Briefen des Neuen Testaments.
Ich lese bei Paulus im 2. Brief an die Christen in Korinth:
Wir brauchen (auch) nicht unser Gesicht mit einem Tuch zu verhüllen, wie Mose es getan hat, damit die Israeliten nicht sahen, wie der Glanz Gottes auf seinem Gesicht wieder erlosch. 14 Aber nicht nur das, sie waren verschlossen für Gottes Botschaft. Bis zum heutigen Tag sind die Schriften des Alten Bundes für sie wie mit einem Tuch verhüllt. Sie lesen es zwar, aber seinen Sinn verstehen sie nicht. Dieses Tuch wird erst dann weggenommen, wenn sie an Christus glauben.
Was vielleicht ursprünglich noch als These für eine Glaubensauseinandersetzung gemeint war oder so zu verstehen ist, war später die Steilvorlage für Luthers antijüdische Polemik und dieses in Kombination für antijüdische Predigten und dies alles und dazu das Unverständnis, weil Unwissen von dem anderen Glauben öffnete schließlich die Tore zur Hölle für alle, die jüdisch waren und /oder als solche stigmatisiert wurden.
Unverhüllt führt uns das vor Augen, wohin es führt, wenn ich nur das mir eigene und mir verständliche als wertvoll erachte.
Und so ist es angemessen und geboten all jene, denen dies unermessliche Unrecht geschehen ist, um Verzeihung zu bitten und um Versöhnung zu ersuchen.
Und dann müsste noch dies geschehen: Jesus müsste sie, die Unwissenden, die Verblendeten, die Verbohrten, zu denen ich auch ab und an und immer einmal wieder gehöre, mitnehmen, wie einst Petrus, Jakobus und Johannes. Jesus müsste uns mitnehmen auf den Berg und uns die Augen öffnen, dass nicht nur wir da sind und etwas von Gottes Herrlichkeit erfahren und ahnen dürfen, sondern dass da auch Mose und Elia ist, das auf diesem Berg unglaublich viele Menschen sind, manche mit einer Kippa, andere bewusst ohne Kopfbedeckung, wieder andere barfuß und ihnen allen wird die Herrlichkeit Gottes vor Augen geführt indem sie sich sehen in all ihrer Verschiedenheit und ihrer Gleichheit als Menschen vor Gott.
Gottes Glanz spiegelt sich im Gesicht eines jeden Menschen. Daran möchte ich heute und immer wieder erinnert sein und andere erinnern. Amen.