Auf ein Wort / Lesepredigten
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Liebe Gemeinde,
ein ganz normaler Morgen im Herbst. Ich sitze im Zug. Es ist Nebel über den Feldern und alles leuchtet in einem goldenen Licht durch den Sonnenaufgang.
Vor meiner Haustür färben sich die Weinblätter glutrot.
Alles strahlt Licht und Freude aus an goldenen Herbsttagen, wie den zurückliegenden.
Die Bilder dieses Herbstes speichere ich in meinem Herzen.
Und ich spüre in solchen Momenten tiefe Dankbarkeit.
… Im Alltag, mit dem Rad durch die Stadt fahrend, oder zwischen den Regalen des Supermarktes, im angestrengten Klären von Dingen, zwischen Telefonanrufen und Posterledigung habe ich keinen Blick für all das Schöne, das mich umgibt, für das Leben, das mir geschenkt ist, für die Luft, die ich atmen darf, für die Menschen, mit denen ich zusammen bin, die Lieder die ich singen kann … Wo bleibt dein Dank, könnte ich denken, fragt Gott.
Ja das klingt etwas fromm. Aber es ist ein naheliegender Gedanke für jene, die im Glauben an Gott als Ursprung allen Seins leben.
Dieser Gedanke findet sich in einem Zwiegespräch zwischen Gott und Israel in jenem Text des Propheten Micha.
Israel ist zu jener Zeit ein Volk, für das die Befreiung aus ägyptischer Knechtschaft längst Geschichte ist, das sich in den neuen Verhältnissen eingerichtet hat. Es feiert zwar Gottesdienste, hält den überlieferten Kult in Ehren und läuft doch Gefahr, Gottlos zu werden. Die Tora, die Weisung Gottes gerät aus dem Blick. Lug und Trug breiten sich aus. Geschäfte werden gemacht mit falschen Gewichten, mit unrechten Wagen so dass die einen sich auf Kosten der anderen bereichern. Das Unrecht schreit zum Himmel. Micha, der Prophet ist nicht der Einzige in jenen Tagen, der das anprangert.
Gott und Gottes Wille für gelingendes Leben in Gemeinschaft und Solidarität geraten aus dem Blick. Stattdessen ist da ein murrendes, ein unzufriedenes Volk, das seine Geschichte vergisst.
Gott spricht durch den Propheten zu seinem Volk: 4 Habe ich dich doch aus Ägyptenland geführt und aus der Knechtschaft erlöst und vor dir her gesandt Mose, Aaron und Mirjam.
5 Mein Volk, denke doch daran, was Balak, der König von Moab, vorhatte und was ihm Bileam, der Sohn Beors, antwortete; oder wie du hinüberzogst von Schittim bis nach Gilgal, damit ihr erkennt, wie der HERR euch alles Gute getan hat.« - wie könnt ihr das alles vergessen?
Im Text ist ein Absatz. Ich spüre die Schwere der Frage durch die Zeiten bis zu uns: Habt ihr es auch vergessen?
Habt ihr vergessen, dass das Leben ein Geschenk ist. Habt ihr bedacht, dass es ganz zufällig ist, dass ihr hier geboren seid und nicht in Eritrea oder Afghanistan, wo ihr jederzeit der Willkür anderer ausgesetzt seid? Denkt ihr daran, dass alles was ihr habt euer Land, eure Familie, alles ein Geschenk ist. Ihr habt es nicht gemacht.
Ja, wir vergessen schnell, wir finden vieles selbstverständlich.
Selbstverständlich kann ich jederzeit Banen, Ölsardinen, Ketchup, Nutella, Mon Cherie, Milka in den Einkaufswagen legen, der auch viel größer ist, als einst die, die vor den Konsumkaufhallen standen und eben alles fassen, was damals Mangelartikel waren. Im Baumarkt kann Wandfliesen kaufen und verchromte Wasserarmaturen, im Reisebüro zumindest überlegen, wohin ich gern mal reisen würde, im Zeitungsladen zwischen Neuem Deutschland und Frankfurter Allgemeinen wählen.
Und unsere Kinder brauchen nicht zum Fahnenappell antreten und immer bereit antworten und so ritualisierte Bekenntnisse auf den Staat ablegen.
Und das alles war jetzt sehr oberflächlich erinnert. Wovon wir befreit wurden ist noch viel mehr als das. Wer seinen Gefühlen von vor und nach dem Mauerfall nachspürt und nicht unter extremer Vergesslichkeit leidet, müsste heute auch nach 35 Jahren Mauerfall eine unendliche Dankbarkeit spüren, trotz allem, was heute misslich, ärgerlich, zutiefst ungerecht und veränderungsbedürftig ist.
Und von der Befreiung von einer Angstdiktatur der Nazis könnten noch jene erzählen, die das leidend durchlebten. Vieles lässt sich heute nur nachlesen, gerät in Vergessenheit und junge Menschen ahnen nicht, welche Ungeister nur darauf warten, aus der Flasche gelassen zu werden.
Also denket daran, wovon wir befreit wurden, vor allem auch dank mutiger Menschen, vieler, die von Gottes gutem Geist geleitet, widerständig waren.
Denkt daran, wie der Herr euch alles Gute getan hat. So der Ruf einst an Israel, heute an uns.
Und die Antwort die ich bei Micha dann lese, sie könnte mit anderen Worten auch von uns sein und mutet gar an wie die eines ertappten und beleidigten Kindes:
6 »Womit soll ich mich dem HERRN nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern?
7 Wird wohl der HERR Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?«
Nein. Das ist es doch nicht was Gott will.
Nach all dem, was ich aus Gottes Geschichte mit uns Menschen weiß, aus all dem, was die Bibel an Erfahrungen darüber erzählt bis hin zu Jesus, der uns die hingebungsvolle Liebe vorgelebt hat, kann ich nicht glauben, dass es darum geht. Es geht nicht darum, etwas abzubezahlen, etwa durch irgendeine Art von Opfer, oder durch ein Absitzen im Gottesdienst.
So bleibt die berechtigte Frage: Um was geht es dann. Um was geht es Gott. Was ist gemeint mit dankbarem Leben?
Ein einziger Satz sagt es mir. In meiner Bibel fettgedruckt:
8 Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
– Also: das Rechte tun, gütig und besonnen und dankbar leben. Das versteht doch jedes Kind.
Wenn ein gebrechlicher Mensch in den vollbesetzten Bus steigt, dann spüre ich doch, dass dieser Mensch jetzt einen Platz braucht, jemanden, der ihm hilft, beim Anrucken nicht zu fallen.
Wenn mein Nachbar, dem ich 100 EUR geborgt habe zu mir kommt und sagt: Du es ist mir peinlich, aber mir geht es immer noch nicht besser, ich habe noch immer keinen Job, ich kann die 100 EUR noch nicht zurück geben, dann werde ich ihn nicht bedrängen, sondern im Gegenteil, dann möchte ich ihm am liebsten irgendwie helfen.
Wenn ich ein Kind dasitzen sehe und es weint, dann setze ich mich zu ihm und frage, was ist denn los, kann ich dir helfen?
Eigentlich weiß doch jeder Mensch, was gut ist. Und das Einzige, was die unbedingte Forderung Gottes ist an mich, an uns alle, und wenn Sie so wollen aus Dankbarkeit für das Leben, das ist, das wir das Gute tun, liebe üben, besonnen leben.
Und wir sehen es täglich. Wir wissen es oder ahnen es, das es unendlich viel mehr Hilfsbereitschaft gibt in unserem Land von Menschen, die sich für andere einsetzen. Das ist nur leider für die Nachrichtensendungen nicht so spektakulär, wie Menschen, die an Grenzübergängen als illegale ertappt werden.
Einem einzelnen in einer Notlage mit etwas Geld helfen kann mehr sein, als eine große Spendenaktion ins Leben zu rufen.
Sich für einen einzelnen Menschen einsetzen, kann mehr sein, als eine Partei zu gründen und eine Wahl zu gewinnen.
Einem anderen zuhören, weil er verzweifelt ist und nicht ein noch aus weiß, kann mehr sein, als ein ganzes Jahr in den Gottesdienst zu gehen.
Aber was sage ich das, Das alles weiß doch jeder Mensch.
Es ist uns geradezu eingepflanzt. Es ist das Bild Gottes in uns, was erstrahlt, wenn wir so in Dankbarkeit leben.
Das wissen wir alles, nur eben ist es uns mitunter aus dem Blick. Darum muss man manchmal am Morgen den Sonnenaufgang erleben, manchmal ein Buch lesen, manchmal einen Propheten hören, manchmal eine Begegnung haben, manchmal an einer Schule vorbei gehen und die Buntheit der Jugendlichen bestaunen, manchmal sich anrühren lassen durch ein Lied, ein herabfallendes Blatt, eine Träne um sich auf Gott zu besinnen und als Gerechte zu leben.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus unserem Bruder. Amen.