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Predigt zu Lukas 15, 1-32 - von den verlorenen Söhnen
Liebe Gemeinde!
Erinnern Sie sich noch an Artur? Nein! Aber ein ehemaliger Konfirmand.
Der sagte neulich zu mir: Die Predigt zur Konfirmation, das mit Artur war cool!
Diesen Artur, einen ziemlich abgerissenen Kerl mit einem markigen Spruch auf einer Postkarte nahm ich vor einigen zum Anlass der Konfirmationspredigt. Und Arturs Spruch lautet:
Du fragst mich, was soll ich tun? Und ich sage, lebe wild und gefährlich, Artur. – Daran erinnerte sich unser ehemaliger Konfirmand.
Na immerhin dachte ich, wenn der Spruch auch nicht aus der Bibel ist.
Dabei hat er den Schlusssatz aber gewiss vergessen, der da lautete: Lebt wild und gefährlich! Aber seid skeptisch und achtet auf die Alarmglocken der Angst. Traut Euch und Euren Fähigkeiten etwas zu! Aber überfordert Euch nicht.
Wo es nämlich hinführen kann, das wilde und gefährliche Leben, davon erzählt der heutige Predigttext, das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Es ist einer der populäreren Texte aus der Bibel, vielleicht deshalb, weil diese Geschichte unser aller Geschichte sein kann oder gar ist.
Es ist ein Gleichnis für jede und jeden von uns, das will ich im ersten Teil der Predigt veranschaulichen und es ist auch ein Gleichnis für unsere Gemeinde und unsere Kirche, davon soll im zweiten Teil die Rede sein.
Zunächst habe ich mir den Vater und seine beiden Söhne vorgestellt.
Manchmal glaubte der Vater gar nicht, das diese seine beiden Jungs wirklich Brüder sind. Der große – wirklich einen Kopf größer als sein Bruder, der Große bestimmte gern wer wo und was zu tun hatte. Und wehe es lief nicht so, wie er es sich vorstellte. All seine Mühen galten nur dem Hof.
Der Jüngere hingegen, er war verspielt und verträumt, er konnte sich an kleinen Sachen freuen und probierte gern etwas aus. Und wenn er lachte, so hallte es scheinbar Kilometerweit.
So verschieden waren die beiden. Jetzt, seit dem der jüngere weg ist, fällt dem Vater diese Verschiedenheit besonders auf. Wann hat eigentlich mein Großer zuletzt gelacht? Ich kann mich gar nicht erinnern – so grübelte er vor sich hin. Und woran hat er, außer an der Arbeit eigentlich Freude? Ja vielleicht am Sabat. Wenn die Brote geteilt und der Segen gesprochen wurde. Und wehe wenn hier etwas nicht war wie immer. Und auch da war sein Gesicht ernst obwohl es doch eigentlich eine freudige Geschichte ist, eine Geschichte der Befreiung. Im Gesicht meines Sohnes ist davon nichts zu sehen.
Neulich noch, als sie alle beisammen waren, da gab es einen heftigen Streit und der Jüngere sagte es seinem Bruder ganz unverhohlen heraus: Du bist ja nur neidisch auf mich, weil ich etwas wage, wovon du nur träumst!
Mit Freunden herumziehen, dazu hab´ ich keine Zeit.
Wenn ich so wäre wie du, da wäre unser Hof bald am Ende.
Du hast ja nur die Weiber im Kopf und würdest bald alles verprasst haben, so entgegnete der Ältere voller Zorn.
Wenn der Vater nicht dazwischen gegangen wäre, so hätten sie sich wohl die Köpfe eingeschlagen.
So, liebe Gemeinde könnte die ganze Geschichte begonnen haben.
Und der ältere Bruder sollte Recht behalten.
Sie haben die Geschichte und ihren Ausgang noch im Ohr.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn oder sollten wir sie besser von den verlorenen Söhnen nennen?
Ist nicht der Ältere mindestens, wenn nicht überhaupt am Ende nur noch er in der Gefahr, verloren zu gehen? Ist er nicht in der Gefahr, verloren zu gehen aus Hartherzigkeit, Neid und Starrheit.
... sollte das wirklich meine Geschichte, unsere Geschichte sein?
Also eigentlich möchte ich mich weder mit dem einen noch mit dem anderen vergleichen. Ich möchte es nicht, aber Jesus und sein Gleichnis
lässt einen nicht gleich wieder in Ruhe.
Und nach kurzem Überlegen weiß ich, dass ich die Art des älteren Bruders kenne, dass sie mir vertraut ist: Es ist eine Art von Gehorsamsmoral, die vielen von uns eingeprägt wurde, und es ist ein untergründiges Gefühl, im Leben zu kurz zu kommen, woraus sich Neid entwickelt über all jene, die es wild und gefährlich (jedenfalls wilder und gefährlicher als ich) wagen.
Dabei kenne ich den Drang des jüngeren Bruders aufzubrechen, etwas ganz anders zu machen, als meine Eltern.
Aber etwas ausprobieren und dann Scheitern – dieser Alptraum überwog oft genug und die Vernunft sagte mir, bleibe in dem was du hast.
Insofern staune ich heute über mich selbst, dass ich mich doch viel öfter als ich das in meinen frühen Jahren je dachte, aufgemacht habe.
Das ich meinen Beruf als Ingenieur aufgab, war schon ein riesiger Schritt, der mir nicht viel Zustimmung in meiner Familie brachte.
Noch die ganze Zeit meines Studiums hindurch hatte ich noch meine Wohnung in Chemnitz.
Dann hatten wir eine erste Stelle in Thüringen, hätten bleiben können, wechselten aber in die Kirchenprovinz. Wieder ein neuer Ort. Und wir wechselten noch zweimal die Pfarrstelle, nie leichten herzens.
Denn was uns, was mich erwarten wird, ob sich Hoffnungen erfüllen werden, ob Neuanfänge gelingen, war immer fragwürdig.
Nein, wild und gefährlichwar es nicht, denn wohin wir gingen, gab es uns vertraute Menschen, es war keine völlige Fremde, nicht Afrika.
Aber selbst das habe ich wagen wollen und bereue den Aufbruch keinen Augenblick.
Aufzubrechen ist aber dennoch immer ein Wagnis, aber ich glaube es ist nötig. Es ist nötig, denn wenn man vom Aufbruch des Volkes Israel, vom Aufbruch der Jünger Jesu predigen will um Menschen zu Veränderungen zu bewegen, so muss man zum Losgehen auch selbst bereit sein.
Diese gleichnishafte Geschichte bewegt mich darum und fordert mich heraus. Sie fragt nach meiner eigenen Position und sie verheißt auch etwas Wunderbares, nämlich das, was in der Geschichte mit dem Fest umschrieben ist. Es ist das Fest, an dem wir alle Anteil haben, egal wie mutig oder zurückhaltend wir gelebt haben, egal wie erfolgreich oder dornig mein weg war. Und keiner soll verloren gehen!
Die Gleichnisgeschichte von den verlorenen Söhnen ist aber wohl nicht nur ein Spiegel für einen Einzelnen, für mich oder irgendjemanden von ihnen. Ich glaube, die Geschichte ist auch ein Spiegel für unsere Kirche, die genauso in der Gefahr ist, verloren zu gehen.
Eine Kirche, die in der Gefahr ist, verloren zu gehen, das ist eine Kirche, in der holzschnittartig verändert wird ohne gewachsene Strukturen zu bedenken ohne genauer darauf zu schauen, was Menschen wichtig, auch was ihnen heilig ist, was sie bewahren wollen.
Aber auch eine Kirche, in der kein Mut mehr zu Veränderungen besteht, in der überwiegend Rituale gepflegt werden, (auch der Sonntagsgottesdienst kann zu einem Ritual werden) in der man nur sich selbst befeiert und sieht, das man irgendwie über die Runden kommt, eine solche Kirche droht verloren zu gehen.
Ich glaube Jesus hat das Gleichnis von den verlorenen Söhnen erzählt um gerade auch die Selbstzufriedenen und Selbstgerechten anzusprechen.
Zufrieden können wir nicht sein, wenn bei uns alles seinen kirchlichen Gang geht, die Finanzierung unserer Bauvorhaben und unsere Gottesdienste abgesichert sind.
Zufrieden können wir ganz und gar nicht sein, und ganz richtig liegen wir mit unserer kirchlichen Praxis nicht, solange das Unrecht und die Armut von Millionen zum Himmel schreien.
Gewiss können wir nicht viel machen. Jesus konnte auch nicht viel machen. Er konnte nicht alle Welt satt machen, sondern nur 5000 oder viertausend oder vielleicht auch nur einen, er konnte nicht alle Lahmen gehend machen, aber dem einen oder anderen zum Aufstehen und Losgehen bewegen, den einen oder anderen hörend oder sprechend oder sehend machen – nicht alle.
Wenn wir es auch nur versuchen würden wie er, über unser regelmäßiges kirchliches Leben hinaus etwas zu tun, etwas zu wagen, sei es noch so klein, so wäre es doch ein mächtiges Zeichen seiner Gegenwart.
Ich glaube, wenn wir uns in diesem Sinne aufmachen und überlegen würden, wohin wir als Kirche künftig gehen wollen, wäre das ein Schritt gegen das Verloren gehen.
Konkret heißt das für mich z.B., das ich nicht nur die ökumenische Hilfe als Position im Haushaltsplan haben möchte, sondern das die weltweite Gemeinschaft der Christen und damit Gemeinschaft mit den Armen zum Programm unserer Kirche wird. Und das erst recht in Anbetracht einer globalen Tendenz von „wir zuerst /Amerika First / Deutschland zuerst.
Denn die Zuwendung zu den armen, entrechteten, zu den Verlorenen dieser Welt war das Programm Jesu.
Ich weiß selbst, wie weit der Weg ist, den wir als Kirche und den ich selbst noch zurücklegen muss um solchen grundlegenden Wahrheiten um die es Jesus immer ging, zu entsprechen.
Wenn ich uns aber im Sinne Arturs einen Rat geben darf, dann den: Geht diesen wilden und gefährlichen Weg und erlebt die Wunder Gottes.
Amen.