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Predigt zu Jona 3, 2-10
Utopie 1. Teil
Wir schreiben heute das Jahr 2640 und es ist ein besonderes Jahr und ein besonderer Tag. Hier in St. Marien wurde gerade unsere Orgel, eine der ältesten in Mitteldeutschland, generalüberholt. Und es ist dieser Sonntag, an dem sie wieder erklingen wird. Aber nicht genug.
Parallel gibt es eine Life Übertragung von und nach Halberstadt und San Franzisko, nach Mbeya in Tansania, nach Aleppo und Bagdad, nach Kiew und St. Petersburg, um nur einige zu nennen.
Es ist nämlich heute auch der Tag, an dem der letzte Ton des John Cage – Projektes erklingen wird. Seit 639 erklingt nun das Musikstück und in aller Welt wird dieser letzte Ton zu hören sein. Er ist zugleich der Auftakt zu etwas neuem und noch Größerem. Der heutige Tag wurde ausgewählt, um die gemeinsame Erklärung der geeinten Völker der Welt zu unterzeichnen.
Diese Erklärung besagt nichts Geringeres, als das nun heute gesagt werden kann: kein Volk führt gegen ein anderes Volk Krieg. Kein Mensch leidet mehr Hunger oder hat kein Dach über dem Kopf. Kein Mensch wird wegen seiner Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, sexueller Orientierung oder Identität oder Vermögen benachteiligt.
Tiere und Pflanzen, alles was den Menschen umgibt, erfährt Achtung und Schutz. Das Bestreben nach materiellem Gewinn oder persönlicher Bereicherung auf Kosten anderer oder der Natur sind überwunden.
An Stelle dessen ist das Bestreben getreten, zu entdecken, zu erkennen und zu verstehen.
Heute können wir sagen, die Menschheit, ja die ganze Welt, die Anfang des 21. Jahrhunderts vor dem Abgrund stand, hat sich erneuert.
Die Warnungen der Wissenschaftler wurden in letzter Minute ernst genommen. Die Bevölkerung von damals, Generationen unserer Vorfahren, haben in einem entbehrungsreichen Kampf gegen ihre eigene Art, die Welt auszubeuten, gewonnen. Es ist gelungen, die nachfolgenden Generationen, schließlich uns heutigen, einen Weg zu bahnen, in dem wir mit Konflikten umgehen können, in einfacher Lebensweise keinen Verlust sehen und optimistisch in die Zukunft blicken können.
Dies ist das Vorwort zu unserer heutigen gemeinsamen Predigt, in der nicht ich einer Gemeinde sage, wie was zu verstehen oder zu glauben ist, sondern wir alle hineinverwoben sind in den Prozess des Verstehens und Teilens von Glaubensansichten und Erfahrungen.
So lese ich nun lediglich den heute und seit Jahrtausenden zu bedenkenden Text vor, der für diesen Sonntag vorgeschlagen ist:
Zwischengedanke:
Liebe Gemeinde, das war natürlich reine Fiktion, wie sie gemerkt haben.
Fiktion, weil ich den Gedanken einer radikalen Umkehr der Menschheit auf allen Ebenen gedacht habe. Umkehr in Gesellschaft, Politik, persönlichem Leben, auch Umkehr der Kirche, die es so wie heute nicht mehr geben wird, (keine beamteten Würdenträger, eher im Sinne, dass wir alle Kirche sind, keine ausgrenzende Theologie, kein Absolutheitsanspruch).
Das ist aber heute reine Fiktion. Darum bitte ich Sie jetzt wieder zurück in die Gegenwart, genauer in Vergangenheit:
Utopie 2. Teil
Lesung: Jona 3, 2-10
Was für eine Utopie:
erstens schon der Ort: Ninive, eine Weltstadt. Sie symbolisiert die Welt, das Universum und wird darum in der jüdischen Tradition ausgeschmückt, wie ich gelesen habe: 40 Parasangen (etwa 240 KM) im Geviert groß, darin 12 Straßen in denen je 12000 Menschen wohnen mit 2 Marktplätzen mit je 12 Eingängen, die je 12 Höfe und diese wiederum 12 Häuser hatten, in denen je 12 starke Männer wohnten …
Eine utopische Stadt, wie es sie historisch nicht gab und so als Symbol für die Menschheit zu verstehen ist.
Und in der biblischen Erzählung kehrt eine ganze Stadt, ein Volk, der Erdkreis womöglich um. Ein Volk nimmt die Warnungen eines einzelnen ernst.
Was hier unmittelbar auf die Rede des Jona folgte, hatte aber eine längere Vorlaufphase.
Manche erinnern sich: Jona, der sich erst weigerte, auf Gottes Geheiß loszugehen, der auf einem Schiff in entgegengesetzte Richtung reiste, in den Sturm geriet, vom Schiff geworfen wurde, von einem märchenhaft großen Fisch verschluckt und wieder an Land gespien wurde, geht also erneut los.
Oder ist unsere heute zu bedenkende Erzählung eine andere Geschichte, losgelöst von dem wundersamen Vorangegangenen? Vielleicht gehören doch beide Erzählungen zusammen. Jona durchlebt die Katastrophe, sinkt in das Verderben und wird gerettet. Die Stadt Ninive, soll nicht in die Katastrophe absinken.
Und hier wird das für mich Wundersamste erzählt: Das Wundersame für mich ist diese Umkehr. Zuerst kehren die Menschen, das Volk um.
Die Mächtigen folgen, nachdem sie davon erfahren. Jona wird nicht verhaftet, eingesperrt, entmündigt. Jona wird gehört.
Und so wird es gut. So gibt es eine Zukunft. So gibt es Rettung.
Ganz ähnlich meiner erdachten Utopie.
Aber was solls? Es sind eben Utopien, die eine von mir als SF-Liebhaber und Startrekfan, die andere von einem unermüdlichen Optimisten aufgeschrieben, erzählt, geglaubt.
Sonntagsgeschichten eben.
Sonntagsgeschichten, die haben wir aber alle erlebt.
Ein ganzes Volk kehrte um, auch hier kamen die Regierenden nur mit Mühe, oder eigentlich gar nicht hinterher. Mit Kerzen und Gebeten geschah die Umkehr, die Wende.
Als Beispiel oft bemüht, aber nicht oft genug lässt es sich sagen, weil es so stark und wundersam war.
Und wenn ich nur die Fiktion von Gene Roddenberry, dem Erfinder von Startrek vor Augen hätte, in dem Menschen verschiedener Herkunft miteinander friedlich das Weltall, die unendlichen Weiten erkunden, so würde es nicht reichen, an eine universale Umkehr zu glauben.
Und wenn es nur meine Erfahrung aus der Wendezeit wäre, einer friedlichen Umkehr, wozu aber eben auch all die verpassten Chancen gehören, so würde es nicht reichen, an eine universale Umkehr zu glauben.
Und wenn es nur die Erzählung des Jona wäre, so stünde sie am ehesten für eine Verheißung.
Aber es ist nicht nur die Erzählung des Jona.
Es ist, dass sich Gott darin selbst zu Wort meldet und umkehrt (V10).
Gott steht dafür ein, dass es heil voll wird.
So weiß ich nicht, ob all die Mahnungen, die in unserer Gegenwart unüberhörbar, unübersehbar sind, zu einer globalen Umkehr führen.
Ich hoffe darauf. Ich sehe, dass einzelne umkehren, das Menschen grundsätzlich dazu in der Lage sind.
Ich weiß nicht, ob es reicht. Aber ich halte nichts von Weltuntergangsszenarien, ebenso wenig von apokalyptischen Vorstellungen von Weltende, Weltgericht usw.
Ich halte aber sehr viel von Jesus, von seiner Sanftmütigkeit, seinem Mut und seiner göttlichen Beharrlichkeit, die Herzen zu erreichen.
Und diese Wirkung ist unübersehbar und hat Menschen Kraft und Hoffnung gegeben, es zu versuchen wie er.
Es ist möglich, einfach zu leben, einander Lasten zu tragen, Leiden zu teilen, Güte zu wagen, sich selbst zurück zu nehmen.
Wer das versucht, sich gar das zur Lebensmaxime macht, wird eine Befreiung erleben. Befreit von den Mächten des Egoismus und der Herrschsucht, befreit von den Mächten der Angst, verlieren zu können, befreit schließlich von der Angst vor dem Tod.
Was mich anbelangt, will ich es versuchen, immer wieder, will mir die Verheißung Jesu vor Augen halten und gleichzeitig Utopien erzählen und träumen und das alles im Glauben an den allgütigen Gott, der will, das wir leben, wie Ninive.
Amen.
Und der Friede Gottes …