Auf ein Wort / Lesepredigten
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Predigt zu Mt 5, 38-48
Liebe Gemeinde!
Da gibt Konflikte. Es gibt den sozialen Konflikt zwischen Ehepartnern, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Nachbarn, zwischen Kollegen, zwischen PfarrerInnen und Gemeinde.
Schlimmste Konflikte sehen wir alltäglich in den Nachrichten.
Da fühle ich mich ohnehin hilflos aber auch mitunter, wenn ich selbst in Konflikten stehe. In Anbetracht des heutigen Evangeliums frage ich mich, was wohl Jesus sagen würde. Ob wohl seine Botschaft nicht fern jeglicher Realität ist.
Nein! Höre ich ihn widersprechen. Dies gilt heute und zu jeder Zeit und für jeden. Und du, so höre ich ihn, bist jeder!
Ich bin gemeint, ich zuerst mit meinen Konflikten oder besser gesagt, wie ich damit umgehe.
Ich besinne mich, erinnere mich und mir fallen zahlreiche Konflikte ein mit denen oder in denen ich zu kämpfen hatte.
Und inzwischen habe ich etwas gelernt: Ein Konflikt ist kein Schachspiel. Zumindest geht es nicht darum, das einer gewinnt.
Siegespläne führen eher in eine Sackgasse.
Bevor ich auf die Lösung Jesu zurückkomme versuche ich mein Wissen mit Ihnen/ Euch zu teilen:
Ich weiß aus der Konfliktforschung, dass es Abwärtsstufen der Eskalation gibt:
Erste Stufe: Standpunkte verhärten sich, prallen aufeinander, aber es besteht die Überzeugung, dass die Spannungen durch Gespräche lösbar sind.
In der zweiten Stufe wechselt das Gespräch zwischen Debatte und Polemik, es kommt zu gegenseitigen Abwertungen und Schwarz-Weißdenken.
In der dritten Stufe hilft Reden nicht mehr. Hier kommt es dazu, vollendete Tatsachen zu schaffen, das Einfühlungsvermögen geht verloren und das Gefühl der Konkurrenz wird größer als das der Kooperation.
Mit den nächsten drei Abwärtsstufen verlassen die Partner den Bereich einer noch möglich gewesenen win-win-Situation.
Die vierte Stufe ist gekennzeichnet durch Imagekampagnen, Verächtlichmachung des anderen und der Haltung: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.
In der 5. Stufe kommt es öffentlich und direkt zu Angriffen mit dem Ziel des Gesichtsverlustes bei meinem Gegenüber.
Nun folgt mit der 6. Eskalationsstufe ein aktivierter Mechanismus von Drohung und Gegendrohung. Es kommt zu Konfliktbeschleunigung durch Ultimaten. Man manövriert sich in Handlungszwänge.
Dieser Bereich in dem es noch um Gewinnen und Verlieren hätte gehen können, folgen die letzten drei Eskalationsstufen in dem es nur noch um das Verlieren geht und zwar aller Konfliktbeteiligten.
Der Gegner wird nicht mehr als Mensch gesehen. Begrenzte
Vernichtungsschläge werden als passende als „passende Antwort“ ausgeteilt. Ein kleiner eigener Schaden wird als „Gewinn“ bewertet.
So ist die siebenten Eskalationsstufe beschrieben.
In der achten Stufe geht es um Zerstörung und Auflösung
des feindlichen Systems als Ziel.
Und da das möglicherweise gar nicht gelingt. So folgt schlussendlich die neunte als letzte Stufe der Eskalation: wenn ich schon nicht gewinnen kann, so gehe ich mit meinem Gegenüber gemeinsam in den Abgrund. Ich nehme also die eigene Vernichtung in Kauf, wenn nur auch mein Gegenüber vernichtet wird.
Mit diesem Eskallationsstufenmdell nach Friedrich Glas, übrigens einem Ökonomen ist zu sehen, das mit dem „Betreten“ der jeweils niedrigeren Stufe das Verhalten weiter eingeengt und Handlungsalternativen ausgeschlossen werden.
Das liebe Gemeinde führt uns somit vor Augen, wozu es tatsächlich kommen kann beim Austragen von Konflikten nach dem Zahn-um Zahn-Auge-um Auge- Prinzip:
am Ende sind alle zahnlos und blind.
Und eigentlich wissen wir das längst.
Ich schaue also mit diesem Wissen auf die Worte Jesu. Sie sind im Grunde nichts anders, als eine radikale Verstärkung der Gebote.
Und sie haben auch etwas Widerständiges dem Bösen gegenüber.
Ich glaube, Jesus hat es so radikal gesagt oder der Evangelist Matthäus so radikal aufgeschrieben, weil es nötig war.
Es war nötig, um all jenen, die Christen sein wollen, also den Spuren Jesu folgen wollen vor Augen zu halten, was es bedeutet. Und dabei glaube ich geht es nicht einfach um irgendein christliches Prinzip. Es geht um etwas, von dem alle etwas haben: Es geht um eine Vorbereitung auf den Konfliktfall, der jederzeit zwischen Menschen ausbrechen kann.
Und wenn ich von vornherein in dem Menschen mir gegenüber, einen Menschen sehe, der im Grunde ist wie ich, der oft von Gefühlen bestimmt wird, Ärger, gar Wut empfindet, wenn er gedemütigt wird, das Gefühl hat, zu verlieren, aber letztlich versöhnt leben will, wenn ich das vor Augen habe, ist es schon mal eine gute Abwehr, gegen negative Gefühle und Energien, die mich bestimmen wollen.
Diesen negativen Gefühlen und Energien, so verstehe ich Jesus, soll ich absolut positive entgegensetzen. Und weil das Negative so mächtig sein kann, brauche ich etwas noch Kraftvolleres um das Negative in Grenzen zu halten:
Entwaffnende Ehrlichkeit, entwaffnende Offenheit, entwaffnende Liebe.
Nein, das funktioniert nicht immer, ist kein Patentrezept, aber eine gute antigewaltprophylaktische Einstellung – glaube ich.
Momente, in denen es gelingt, durch eine solche starke positive Haltung einen Konflikt zu vermeiden oder zu entschärfen, kann man, denke ich, als heil voll bezeichnen. Vielleicht sind Menschen in solchen Momenten tatsächlich vollkommen. Ich wünsche mir, dass es uns als Christen zumindest ab und an gelingt, so dass die Welt es sieht.
Und was alle Fälle anbelangt, in denen damit keine gute Lösung zu erzielen ist, oder wo gar Schlimmstes zu erwarten ist, hilft im Grunde nur eine Intervention von außen.
Umso stärker die Verhärtung, umso feindseliger oder zerstörerisch die Konfliktsituation ist, umso stärker muss die Intervention, die Einmischung von außen durch dritte sein.
Und so zeigt mir die Menschheitsgeschichte durchaus, dass wir alle etwas gelernt haben. Es gibt Schlichtungsmechanismen auf allen Ebenen. In Betrieben bei Verhandlungen um Tarife und Streik, in persönlichen Streitfällen und letztlich auch auf globaler Ebene.
Es gibt die UN, den Sicherheitsrat, die Un-Friedensmission.
Ja, mitunter empfinde ich es auch zu schwach, aber wie bereits vergangenen Sonntag gesagt, ich glaube, wir, die Menschheit ist entwicklungsfähig.
Und ich glaube, das hat Jesus seinen Jüngern und auch der Evangelist Matthäus seiner Gemeinde zugetraut, ja sie dazu aufgefordert: Entwickelt Euer Christsein! Amen.