Auf ein Wort / Lesepredigten
Okuli_2025
Reminizere_2025
Estomihi_2025
Predigt zu Lukas 10, 38-42
Was war deine letzte gute Tat? Diese Frage geht ihm nun schon den halben Tag durch den Kopf. Irgendwer hat sie heute Morgen irgendeinem Prominenten im Radio gestellt. Wenn er dem Moderator gegenübersitzen würde, so bekäme er sicher einen roten Kopf. Zumindest in diesem Augenblick, in dem ihm gerade nichts rechtes einfallen will.
Ja früher, da hat er viele gute Taten vollbracht, ja vollbringe müssen. Mit Pionierehrenwort in der Nachfolge von Timor und seinem Trupp. Da haben sie Altstoffe gesammelt und das Geld gespendet, für Angela Davis, damit sie freikommt. Und dann haben sie zum Subbotnik in der Schule die Wände geschrubbt und Toilettentüren von Schmierereien bereinigt. Und dann später hat er im Studentensommer in der Produktion geholfen und im Winter schon mal Frau Weiser die Kohlen in den Keller geschleppt. Die wurden nämlich meist nur auf der Straße abgeschüttet. Ja früher hat er viele gute Taten vollbracht. Jeden Tag eine gute Tat für unseren Staat oder so ähnlich hieß es wohl. Das hätte er damals alles aufzählen können. Doch heute?
Und die guten Taten von Damals, naja immerhin Angela Davis kam frei. Die Schule war auch immer in ganz passablem Zustand, Frau Weiser hat ihm dann eine Tafel Westschokolade gegeben.
Aber all die guten Taten haben am Ende nicht dazu geführt, dass es ihm besser ging. Im Gegenteil. Das Land war am Ende.
Der Sozialismus an den er sowieso immer nur halb glauben konnte, hat sich als Irrtum herausgestellt. Und er war auf der Verliererseite.
Zum Glück hatte er vor seinem Studium noch einen richtigen Beruf gelernt. Klempner. Klempner braucht man immer, hat sein Vater gesagt. Denn Wasserleitungen gehen immer mal kaputt. So war er wenigstens nur kurz arbeitslos. Und heute arbeitet er immer noch als Klempner. Viel verdient hat er nicht. Rente mit 63 kann er sich noch nicht leisten.
Wenn er dagegen die Jungen sieht, denen wird es reingesteckt. Seine Söhne sind längst erwachsen. Nein arbeiten wollen sie noch nicht. Erst mal die Welt kennenlernen. Erfahrungen machen.
Diese Freiheiten hätte er auch haben wollen damals.
Aber er hat im Grunde immer nur erfüllt, was andere erwartet haben. Erst haben die Eltern befohlen und er hat gehorcht, dann die Lehrer, der Staat und heute tut er das, was nötig ist, um das nötige Geld zu haben. Aber mit Freiheit, die er ersehnt, hat das nicht viel zu tun.
Und als er so darüber nachdenkt, bekommt er plötzlich eine Ahnung. Ja, vielleicht ist es genau das, was ihm fehlte.
Die Freiheit, etwas zu tun, das mit ihm zu tun hat.
Da kommen ihm plötzlich die Saxophonklänge ins Ohr aus Bochum von Grönemeyer.
Ja, so Saxophon spielen können, das war damals sein Traum. Tino hatte ein Saxophon und war an der Musikschule. Er hat es auch versucht und es kamen Klänge heraus und das hätte er auch gern gelernt. Aber sein Vater winkte nur ab. Musikschule – Du? Versuch erst mal die Schule abzuschließen und dann kannst Du machen was du willst. Konnte er nicht und erst heute, in diesem Augenblick fällt es ihm wieder ein. Ja, etwas tun, das ihm entspricht, nicht nur was andere sagen. Saxophon könnte er ja noch lernen. Noch ist es nicht zu spät. Eine gute Tat – das wäre doch eine – naja erst mal für sich selbst. Aber wer weiß …
Dieser Erzählstrang kam mir in den Sinn, als ich die Episode von Jesu Besuch bei Maria und Martha las.
Über diese Martha, die scheinbar auch nur die Pflichten vor Augen hat, hatte ich sogleich einen Zugang zu all dem, was jemanden betreffen kann, der/ die im Leben irgendwie vieles getan hat, für andere womöglich und sich selbst zu wenig gegönnt hat, vielleicht einfach erschöpft ist von dem Berufsalltag, von all den Herausforderungen des Lebens und sich danach sehnt etwas zu tun, das mit ihm und insofern auch mit Gott zu tun hat. Ich glaube, dass es nicht gut ist, sich für andere, irgendeine Sache, die Kirche, eine Partei, den Job, die Familie, die Kinder oder was auch immer zu opfern, immer nur Pflichten zu erfüllen und sich selbst aus dem Blick zu verlieren. Das Liebesgebot (der Epistel) erinnert daran. Denn zur Liebe gehört, dass ich sie selbst in mir und auch mir gegenüber habe. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Sich also auch selbst lieben, sich im Blick haben – steckt in diesem Gebot.
Ich glaube, beide Anteile, der von Martha steckt in mir/ in uns allen und ebenso der von Maria.
So ruft die Erzählung dazu auf, eine Balance zu finden zwischen beiden.
Ja und so können Sie/ könnt Ihr dieser Frage nachgehen: Was ist jetzt wichtig. Was wäre noch dran? Vielleicht Saxophon lernen?
Und der Friede Gottes und die Kraft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen.
Amen.